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Kinder haften (nicht) für ihre Eltern!

von Carl Cevin-Key Coste

Dieser Beitrag erschien erstmalig in der Ausgabe 04/2016 Jung+Liberal.

Jugendlichen darf nicht der Anreiz für Leistung aufgrund des familiären Hintergrunds genommen werden. Dafür darf der Staat auch mal etwas mehr als nötig zahlen.

Die siebzehnjährige Schülerin Juli möchte gerne mehr Taschengeld. Ihre Eltern können ihr aber nicht mehr geben. Deshalb beschließt sie ihr erstes eigenes Geld zu verdienen. Kurzerhand bewirbt sie sich bei einem lokalen Unternehmen und vereinbart, dass sie neben der Schule an vier Samstagen pro Monat für jeweils 8 Stunden arbeitet. Dafür erhält sie 10 Euro pro Stunde.

Wieviel Geld erhält Juli jeden Monat? 

Was sich zunächst wie eine ganz normale Aufgabe aus dem Mathe-Unterricht anhört, entpuppt sich als ziemliche Ungerechtigkeit: Denn Julis Eltern sind ALG II-Empfänger. Damit ist die Rechnung nicht mehr ganz so leicht. Juli und ihre Eltern leben nämlich in einer Bedarfsgemeinschaft, in der das Einkommen aller Mitglieder für den Bescheid mit einbezogen wird. Für unser Beispiel bedeutet das, dass Juli zwar zunächst die 320 Euro erhält, aber dieses Einkommen wird im nächsten Bescheid der Eltern berücksichtigt. Juli hat einen Freibetrag von 100 Euro pro Monat, der nicht angerechnet wird. Das verbleibende Einkommen über 100 Euro wird jedoch schon zu 80% angerechnet. Sollte das Einkommen 1.000 Euro übersteigen werden 90% und ab 1.500 Euro sogar 100% angerechnet. Von den 320 Euro bleiben somit nur noch 144 Euro übrig.

Auf dem nächsten Bescheid von Julis Eltern fehlen also 176 Euro, weil die Tochter arbeitet. Diese Summe wird fortan jeden Monat fehlen, in dem sie zu diesen Bedingungen beschäftigt ist. Natürlich könnte Juli die 320 Euro behalten, aber das würde die Eltern aufgrund des fehlenden Geldes vor ziemliche Probleme stellen. Und da Juli noch minderjährig ist, wäre das dann wohl auch das Ende des Minijobs, da die Eltern möglicherweise dann das weitere Einverständnis verweigern. Juli wird sich wohl daher dafür entscheiden selber nur 144 Euro zu behalten.  

Zweck der Anrechnung ist eigentlich, dass nur demjenigen finanziell geholfen wird, der auch tatsächlich Hilfe benötigt. Wer ein ausreichendes eigenes Einkommen hat, braucht keine Unterstützung vom Staat. Dafür ist es grundsätzlich auch sinnvoll, das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft zu betrachten. Wenn z.B. der Lebenspartner einen gut bezahlten Job hat, besteht nicht die Notwendigkeit, dass zusätzlich auch noch staatliche Hilfe geleistet wird. Darunter fällt jedoch auch das Einkommen der eigenen Kinder.

Für viele Kinder von ALG II-Empfängern fühlt es sich an, als ob sie für das Verhalten der eigenen Eltern bestraft werden, bzw. sie für ihre Eltern haften. Wären Julis Eltern keine ALG II-Empfänger, dann dürfte sie die 320 Euro vollständig behalten. Damit werden die Kinder gegen ihre Eltern ausgespielt. 

Doch sieht so das Vorankommen durch eigene Leistung aus? Schon bei einem sehr geringen Einkommen ist die Anrechnungsquote schnell über unserem Spitzensteuersatz. Diese Regelung ist zwar keine Steuer, doch im Ergebnis kommt es einem Jugendlichen nicht darauf an, warum das Geld weg ist. Wenn dies die ersten Berührungspunkte mit dem Arbeitsmarkt für einen Jugendlichen sind, wird dies nicht ohne Folge bleiben. Denn hier wird direkt zu Beginn schon ein leistungsfeindliches Klima etabliert. Wer, wie Juli 55% seines Einkommens wieder abgeben muss, stellt sich schnell die Frage, warum man dann überhaupt arbeiten soll. Wenn das Verhältnis zu Leistung schon in der Jugend so gestört wird, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es im späteren Werdegang ähnlich bleibt. Die zarte Pflanze der Leistungsbereitschaft muss gehegt und gepflegt werden und geht sehr schnell ein. Danach ist es sehr schwer, ein positives Verhältnis zur Leistung wiederaufzubauen. Deshalb ist es wichtig, dass Leistung von Anfang an belohnt wird.

Gerade in armen Familien haben wir in Deutschland das Problem, dass Armut vererbt wird. Wir haben viele Familien, die Harz-IV in zweiter oder sogar dritter Generation beziehen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Einer davon ist jedoch, die fehlende Berufserfahrung. Nun sind Nebenjobs von Schülern sicher nicht das Allheilmittel und garantiert keine Absicherung dagegen. Doch zumindest ist es ein Einstieg in das frühe Berufsleben und steigert damit die Chance, dass dieser Teufelskreis durchbrochen wird. Die Kinder können nichts für die Einkommenssituation ihrer Eltern. Wenn sie nun versuchen durch eigene Leistung ihre Situation zu verbessern, ist dieses Bestreben zu fördern und nicht zu unterbinden. Staatliche Aufgabe ist natürlich nicht die Jugendlichen in Jobs zu vermitteln, sondern Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Ausübung möglich macht. Dazu gehört auch, dass diese Ausübung sich überhaupt erst lohnt.

Um Leistung für diese Jugendlichen wieder attraktiv zu machen, muss die Anrechnung des Einkommens überdacht werden. Maßgeblich sind dafür drei Stellschrauben: Freibetrag, Anrechnungsquote und Zeitraum

Grundsätzlich ist es schon sinnvoll, dass es eine Freibetragsgrenze gibt, denn die Kinder sind auch für ihre Eltern verantwortlich. Doch der Freibetrag ist mit derzeit 100 Euro sehr gering angesetzt. Eine Verantwortlichkeit für die höhere Generation ist meines Erachtens erst gegeben, wenn man für sich selbst genug hat. Mit 100 Euro im Monat ist man davon jedoch sehr weit entfernt. Ein Maßstab für diese Grenze könnte das sächliche Existenzminimum sein. Das sächliche Existenzminimum versucht zu bestimmen, welche Summe man mindestens braucht. Für Jugendliche beträgt dieses zurzeit 4.608 Euro pro Jahr, bzw. 384 Euro im Monat.

Die Anrechnungsquote kennt zurzeit drei Stufen: 80%, 90% und 100%

Das Problem mit so hohen Anrechnungsquoten ist, dass ab der Freibetragssumme die Bereitschaft mehr zu arbeiten stark abnimmt. Wenn von jedem selbstverdienten Euro nur 20 Cent übrigbleibt, überlegt man sich sehr genau, ob man die damit verbundenen Mühen auf sich nimmt. Spätestens, wenn man nichts mehr dafür bekommt, dass man mehr leistet, bricht die Bereitschaft völlig ab. Auch hier sollte der Halbteilungsgrundsatz gelten. Maximal die Hälfte sollte demnach von der Summe über dem Freibetrag angerechnet werden.  

Derzeit wird auf für die Bedarfsberechnung auf das Monatseinkommen abgestellt. Es gibt zwar auch eine Ausnahmeregelung für Ferienjobs. Nach dieser Regelung wird auf das bisherige Jahreseinkommen abgestellt. Dafür darf die Beschäftigung jedoch nicht vier Wochen im Jahr übersteigen. Wer also im Frühjahr, Sommer und Winter in den Ferien arbeiten will kommt sehr schnell über die vier Wochen. Alternativ könnte man grundsätzlich auf das Jahresabkommen abstellen. Dies würde den Jugendlichen nochmal mehr Flexibilität geben. Somit wäre auch ein dauerhafter Nebenjob möglich, der auch in den Ferien aufgestockt werden könnte.

 Folge der oben beschriebenen Änderung ist natürlich, dass Familien trotz höherer Gesamteinkommen eine gleich hohe staatliche Zuwendung erhalten, doch diese eigentlich konsumtiven Transferleistungen werden im weiteren Sinne zum Teil in investive Kosten umgewandelt. Dadurch, dass man hier mit einem großzügigeren Maßstab misst, als beispielsweise beim Einkommen des Lebenspartners, wird die Leistung der Kinder belohnt. Dies ist eine Ausgabe für die Zukunft in der Hoffnung, dass dies dazu beiträgt, dass die Kinder selbst später nicht mehr auf staatliche Hilfe angewiesen sind.  Dafür ist es schon in Ordnung, wenn der Staat kurzfristig mehr leistet, als nötig. Denn nur wer Leistung früh ermöglicht, kann auch später Leistung verlangen.

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