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Wichtig ist, was am Ende rauskommt!

Wege für die Vereinbarkeit von vergleichbaren Abschlüssen und individueller Ausbildung

von Carl Cevin-Key Coste

Dieser Beitrag erschien erstmalig in der Ausgabe 03/2016 Jung+Liberal.

Egal ob am Gymnasium oder der Gesamtschule, ob in acht oder neun Jahren – mittlerweile gibt es nicht mehr nur den einen Bildungsweg, sondern viele verschiedene Arten, das Abitur in Deutschland zu erlangen. Doch an das Abitur haben wir den Anspruch, dass es vergleichbar ist, weil mithilfe der Abiturnote über Zukunftschancen entschieden wird. Ganz gleich, ob man sich an einer Universität oder für einen Ausbildungsplatz bewirbt, in Deutschland wird immer noch viel Wert auf Abschlussnoten gelegt. Mit einem bundeseinheitlichen, 900 Punkten umfassenden Abitur wollten die Länder die Vergleichbarkeit des Abiturs erhöhen. Die Berechnung der Gesamtnote unterscheidet sich jedoch deutlich.

Während man in Hamburg die Abiturprüfung an den drei Fachsäulen orientiert, muss man in Nordrhein-Westfalen das Abitur in seinen zwei Leistungskursfächern schreiben. Davon unterscheidet sich nochmal die bayerische Prüfordnung, die fünf Prüfungsfächer festlegt. Auch unterscheiden sich die Voraussetzungen, welche Fächer aus der Oberstufe eingebracht werden müssen und dürfen. Ob das Abitur in Bayern oder in Hamburg schwerer oder leichter ist, ist letztendlich irrelevant. Das Problem ist, dass zurzeit in jedem Bundesland das Abitur unter anderen Voraussetzungen erteilt wird.

Gleiches Abitur, aber für jeden Schüler individuell?

Unter dieser nur scheinbaren Vergleichbarkeit werden aber Zukunftschancen vergeben. Sei es an der Hochschule oder in der Ausbildung – vielerorts ist der Numerus Clausus das entscheidende Kriterium, ob jemand angenommen wird oder nicht. Als Liberale wollen wir Leistungsgerechtigkeit. Es darf demnach nicht davon abhängen, in welchem Bundesland man sein Abitur gemacht hat. Das einzige Argument, das zählt, sind die persönlichen Fähigkeiten des Bewerbers. Die logische Folge hieraus wäre eine Bundesschulverwaltung.

Wir legen jedoch nicht nur Wert auf die Vergleichbarkeit von Abschlüssen. Die Schule soll aus dem einzelnen Schüler das maximale Potential herauskitzeln. So unterschiedlich wie die Menschen sind, so unterschiedlich sind auch ihre Fähigkeiten. Ein zukünftiger hervorragender Jurist kann an linearer Algebra verzweifeln, während dem späteren Programmierer möglicherweise der analytische Zugang zur Lyrik des 19. Jahrhunderts schwerer fallen mag. Gerade deswegen sollte die Ausbildung am Schüler ansetzen und nicht am System.

Gleiches Abitur, aber für jeden Schüler individuell? Zwei Forderungen, die sich zunächst so anhören, als würden sie einander ausschließen. Machen wir uns nichts vor, eine allumfängliche Bewertung eines Schülers, die seine vollständigen persönlichen Fähigkeiten berücksichtigt, ist schlichtweg nicht möglich. Die normative Macht des Faktischen setzt der Prüfung Grenzen, denn ab einem gewissen Punkt schafft die weitere Ausdifferenzierung der Prüfung bürokratische Hürden, die nicht mehr im Verhältnis zum Mehrwert stünden. Vorteil des Bundesabiturs wäre, dass die individuelle Förderung nicht darunter leidet, weil dasselbe Problem auch für die Länderprüfungsordnungen besteht.

Ausbildung und Abschluss als Einheit?

Das Problem der derzeitigen Bildungssituation ist, dass wir Ausbildung und Abschluss immer als Einheit betrachten. Das mag vom Grundgedanken her auch richtig sein. Nach der Ausbildung folgt ein Abschluss, der einem die erlangten Fähigkeiten bescheinigt. Jedoch folgt aus diesem Zusammenhang noch nicht, dass Ausbildung und Abschluss strukturell und organisatorisch eine Einheit bilden müssen.

Es wäre beispielsweise denkbar, dass die Ausbildung an der Schule erfolgt, die Prüfung aber, ähnlich wie im juristischem Staatsexamen, von einer staatlichen Stelle abgenommen wird. Durch diese Trennung wäre es möglich, dass die schulische Ausbildung weiterhin in die Kompetenz der Länder fällt, die Prüfung könnte jedoch als zustimmungsbedürftige Kompetenz des Bundes ausgestaltet werden. Die Trennung würde es erlauben, dass die Ausbildung auf Landesebene immer noch individuell ausgestaltet werden kann und dass ein einheitlicher Abschluss geschaffen wird. Problem an dieser Lösung ist natürlich weiterhin, dass durch den Zuschnitt auf bestimmte Fächer in der Prüfung, persönliche Fähigkeiten möglicherweise nicht mehr berücksichtigt werden.

Um diesen Missstand zu beseitigen, müssen wir unser Verständnis vom Abitur verändern. Derzeit ist das Abitur der einzige Kompetenznachweis, der verlangt wird. Wenn nun aber das Abitur als Grundfähigkeitsbescheinigung verstanden wird, ein Hochschulstudium zu absolvieren, könnte dies gleichzeitig noch um weitere Leistungsnachweise ergänzt werden. So könnte ein Schüler bei seiner Bewerbung das extern geprüfte Abitur plus die Leistungsübersicht seiner Schule einreichen. Ob und wie Betriebe oder Universitäten dies neben dem Abitur noch berücksichtigen, bleibt natürlich ihnen überlassen.

Dadurch, dass wir auf einer anderen Ebene prüfen, wird die schulische Ausbildung aber noch kein Stück individueller für den Schüler gestaltet. Meiner Meinung nach gehört die Verantwortung für Bildung in die Hände der Schüler, der Eltern und der Pädagogen und nicht in die von Politikern und wechselnden Mehrheiten. Aufgabe der Regierung ist es nicht in jeder Legislaturperiode ein neues Schulmodell auszutesten, sondern Rahmenbedingungen für gute Bildung zu schaffen und nicht ideologische Grabenkämpfe auf dem Rücken der Schüler zu führen.

Mehr Freiheit wagen?

Ein individuelles Schulsystem zeichnet sich dadurch aus, dass es zum einen den Schülern weitgehende Wahlfreiheit in der Schwerpunktsetzung lässt, jedoch auch eine Durchlässigkeit der Schulen garantiert. Denn die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Schule darf kein Einschnitt in die persönliche Bildungsbiographie sein, sondern muss die aktuell bestmögliche individuelle Förderung sicherstellen, ohne den späteren Wechsel auf eine andere Schule zu erschweren. Dafür müssen die strukturellen Voraussetzungen geschaffen werden, damit alle Schüler auf den verschiedenen Ebenen in möglichst eigenverantwortlichen Bildungsinstitutionen die besten Ergebnisse erreichen können.

Eine Möglichkeit wäre die Wahlfreiheit der Kurse. Nicht mehr die Schule, sondern der Schüler bestimmt, was er wann lernen möchte.  Zur Vorbereitung auf die Prüfung ist es jedoch erforderlich, dass auch ein gewisses Maß des Curriculums verpflichtend ist. Zur Zulassung für die Abiturprüfung wäre dann eine gewisse Anzahl an belegten Kursen in bestimmten Fachbereichen erforderlich. Vorteil dieser Regelung wäre auch, dass man den Schülern fachspezifisch helfen kann. Ein Schüler, der durch Mathe durchfällt muss dann nicht mehr das ganze Schuljahr, sondern nur seinen Problembereich wiederholen. Mit diesem Modell kann jeder Schüler selbst über seinen Bildungserfolg entscheiden oder anders gesagt, er kann entscheiden, wie lange er für sein Abitur braucht. Bei einer Wahlfreiheit für G8 oder G9 hat man sich einmal entschieden und bleibt an seiner Wahl bis zum Ende haften. Im Wahlsystem könnten die Schüler sich die Belastung selbst einteilen und auch über die Jahre die Belastung variieren lassen. Wünschenswert wäre es zudem, wenn länderübergreifend die Voraussetzungen gleich geregelt sind, um Schulwechsel zwischen den Bundesländern zu vereinfachen.

Verschiedene Schulen könnten verschiedene Schwerpunkte in verschiedenen pädagogischen Herangehensweisen entwickeln. Als Liberale sollten wir keinem Schulsystem und keiner ideologischen Struktur einen Vorzug geben. Auch hier setzt sich im Wettbewerb vor Ort das beste Schulangebot durch. Auch für die Universitäten und Betriebe könnte eine solche Änderung von Vorteil sein. Dadurch, dass es vom Schüler abhängt, wann er die Zulassungsvoraussetzungen für das Abitur erfüllt, werden auch Schüler zu unterschiedlichen Zeitpunkten die Schule mit dem Abitur verlassen. Somit fällt voraussichtlich nicht immer eine Welle an Schülern im Wintersemester an, sondern streckt sich über das Jahr.

Durch die Trennung von Ausbildung und Abschluss, aber auch durch eine Umgestaltung der bisherigen Ausbildung, wäre es somit möglich, vergleichbare Abschlüsse und eine möglichst individuelle Ausbildung miteinander zu vereinbaren. Strukturreformen in der Schule sind natürlich ein leidiges Thema, weil jede Partei am Schulsystem bauen möchte. Wir müssen uns jedoch nicht aus diesem Grund an unsere bestehenden Strukturen in der Schule klammern. Denn es ist nicht wichtig, wie die Schüler zum Abitur kommen, sondern was am Ende rauskommt!

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