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Die unendliche Geschichte der Freiheit

Von Widerstand, Zweifel und Hoffnung.

von Carl Cevin-Key Coste

Dieser Beitrag erschien erstmalig am 17. Dezember 2019 in der Printausgabe der Politik und Gesellschaft.

Donnerstag. Es ist ein kalter Februarmorgen. Eine Studentin und ein Student betreten das Universitätsgebäude. Unter dem Arm eine Aktentasche und ein Koffer, gefüllt bis unter den Rand mit Flugblättern. Es ist das sechste und – wie sich später herausstellt –  letzte Flugblatt, welches die beiden Studierenden vor den noch verschlossenen Hörsälen verteilen. Ein paar Restexemplare des vorherigen Flugblatts befinden sich auch noch in der Tasche und werden fein säuberlich als zweiter Stapel auf den kalten Steinboden der Universität gelegt. Nachdem auch vor dem letzten Hörsaal ein Stapel niedergelegt wurde, wirft die Studentin die restlichen Flugblätter aus dem zweiten Stock in den Innenhof. Wie Herbstlaub segeln die braunen Flugblätter durch die Luft und verwandeln den Innenhof in ein Blättersturm. Die anmutige Stille wird durch einen mächtigen Griff von hinten durchbrochen. Sie wurden erwischt. Es ist der Hausmeister Jakob Schmid, der die beiden Studierenden – die Geschwister Scholl –   stellt und bis zum Eintreffen der Gestapo festhält.

Es lebe die Freiheit! waren wohl die letzten Worte von Hans Scholl, bevor er und seine Schwester für das Verteilen von Flugblättern hingerichtet wurden. Im Kampf für die Freiheit und gegen das Unrecht gaben sie und viele andere ihr Leben. Der Kampf gegen das himmelschreiende Unrecht der nationalsozialistischen Diktatur zeigt deutlich, dass Freiheit so viel mehr ist, als nur ein Wort. Freiheit ist auch immer die Geschichte des Widerstands.

Mit Freiheit verbinden daher viele in erster Linie die Befreiung von Unfreiheit. Freiheit und Herrschaft sind Antagonisten und stehen in einem immerwährendem Spannungsfeld. Freiheitliche Zwangsherrschaft wäre ein Widerspruch in sich. Aber auch wenn Freiheit nicht herrscht, so ist doch ein gewisser Grad an Herrschaft notwendig, um Freiheit zu gewährleisten. Ausgehend von diesem Dilemma stellte bereits Böckenförde fest:

Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.

Neben der Freiheit steht deswegen schon ihrer selbst Willen das Recht und zwischen ihnen steht die Toleranz. Freiheit, Recht und Toleranz sind Geschwister, die sich gegenseitig bedingen und begrenzen. Nach Kriegsende rechtfertigte der Hausmeister sein Handeln damit, dass es nun einmal verboten war, Flugblätter an Universitäten zu verteilen und er nur seine Pflicht erfüllt habe. Hier zeigt sich die Grenze des Rechts. Dort, wo das Recht dem Unrecht dient, dort, wo Recht zum Rechtspositivismus versteinert, dort kehrt sich dieses familiäre Verhältnis ins Gegenteil. Auch die uferlose Toleranz, gerade gegenüber der Intoleranz, kann freiheitsfeindlich und repressiv wirken. Dies schmälert aber nicht die Werte von Recht und Toleranz, sondern stellt nur ihre gelegentliche Ohnmacht fest und ist Auftrag zugleich, die Funktionsfähigkeit von Freiheit, Recht und Toleranz wiederherzustellen.

Doch Freiheit lässt sich nicht auf eine so funktionale Betrachtung runterbrechen. Freiheit ist auch immer verbunden mit Emotionen. Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise… Ich hatte das Glück, in einem wiedervereinigtem Deutschland aufzuwachsen, aber auch wenn man selbst nicht dabei war, auch wenn man nicht in dieser Zeit gelebt hat, wird mir immer warm ums Herz, wenn Genscher durch das Jubeln unterbrochen wird. Freiheit ist auch immer die Geschichte der Hoffnung. Gerade in dunklen Zeiten ist es oft der Drang nach Freiheit, der noch ein letztes Fünkchen Hoffnung versprüht und so ein Licht in die Finsternis bringt. Der Drang nach Freiheit ist es, der auch in schwärzester Nacht wie ein Leuchtturm strahlt und Orientierung gibt. Diese durch den Freiheitsdrang gestiftete Hoffnung kommt in dem letzten Brief von Bonhoeffer an seine Verlobte in seiner Reinform zum Ausdruck, als er in Angesicht des sicheren Todes die Zeile Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag verfasste.

Der Kampf für die Freiheit im immer wieder aufbrechendem Freiheitsdrang der Menschen war auch immer mit der Übernahme von Risiken verbunden. Menschen, die für die Freiheit bereit waren Alles zu opfern. Mit der Befreiung von Unfreiheit ist das Anliegen der Freiheit aber nicht erschöpfend behandelt. Auch oder gerade in einer freien Gesellschaft geht der Kampf der Freiheit unermüdlich weiter. Die so mühsam errungene Freiheit ist ein zartes Pflänzchen, welches – auch wenn es nach außen den Anschein einer stabilen alten Eiche macht – immer aufs Neue verteidigt werden muss, damit die Freiheit nicht eingeht. Ein besonderes Risiko verbirgt sich daher in der vermeintlichen Selbstverständlichkeit der Freiheit. Freiheit ist nie selbstverständlich. Der Versuch der Profanierung der Freiheit ist schon der Beginn der Aushöhlung des intrinsischen Werts. Auch wenn der Gebrauch der Freiheit gewöhnlich scheinen mag, so ist er es nie.

Aus dieser Außergewöhnlichkeit folgt auch die Schwierigkeit, eine positive Umschreibung von absoluter Freiheit in einer Gemeinschaft zu formulieren, da Freiheit etwas höchstpersönliches und für jeden etwas ganz anderes ist. Es ist leichter zu beschreiben, wo in einer Gesellschaft Unfreiheiten bestehen. Doch wie will man etwas verteidigen, was man nicht positiv fassen kann? Woher weiß man, ob das eigene Handeln der Freiheit dient oder nur zu anderen Unfreiheiten führt? Die Antwort für mich ist, dass man sich nie sicher sein kann. Im Zweifel für die Freiheit hat damit noch eine zweite Dimension: Freiheit ist auch immer die Geschichte des Zweifelns.

Die Vernunft der Menschen ist begrenzt und daher ist auch niemand im Besitz letzter Wahrheit, sondern allenfalls auf der Suche danach. Zur Freiheit gehört damit auch, ständig zu zweifeln und sich selbst zu hinterfragen. Auch wenn der Anspruch sein soll und ist, die beste Lösung für eine Gesellschaft zu finden, wird man diesem hehren Ziel nie gerecht werden können, sondern befindet sich nur auf der ewigen Annährung. Denn mit dem Verständnis von Freiheit ist es unvereinbar, dass es gesellschaftliche Endzustände gibt.

Auf diesem Weg der Annährung stellt sich aber nicht die Frage, ob der Weg zur größeren Freiheit angegangen werden soll, sondern nur wie. Es stellt sich nicht die Frage, ob es sich lohnt, für die Freiheit zu streiten, denn es lohnt sich immer. Es stellt sich nicht die Frage, ob die Geschichte der Freiheit schon zu Ende erzählt ist, denn immer, wenn jemand der Meinung ist, den letzten Satz geschrieben zu haben, öffnet sich ein neues Tintenfass und schreibt die unendliche Geschichte der Freiheit fort.

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