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Dürfen Schüler streiken?

Dürfen Schülerinnen und Schüler "streiken"? Was meint Ihr? ❤️=JA ?=NEINMehr zu der verfassungsrechtlichen Frage im Video ☺️

Gepostet von Carl Cevin-Key Coste am Mittwoch, 18. September 2019
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Mutter aller Probleme?

Dieser Beitrag erschien erstmalig am 7. September 2018 auf meiner Facebook-Seite als Reaktion auf die Aussage von Bundesinnenminister Horst Seehofer „Aber die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land.“

von Carl Cevin-Key Coste

„Die Mutter aller Probleme“ ist meine Mama natürlich nicht. Vielleicht haben einige Lehrerinnen, als ich in der 5./6. Klasse war, mal eine Formulierung gewählt, die in der Tonalität in eine ähnliche Richtung ging. Das hatte aber eher mit mir, als mit meiner Mutter zu tun.

Meine Mutter ist in Güvem, einem kleinen Dorf in der Region Balıkesir, geboren und die ersten Jahre ihres Lebens dort aufgewachsen. Eine Zeit, die von linken und rechten Terroranschlägen und von Repressalien des Militärs gegen die Zivilbevölkerung geprägt war. Mein Opa wollte deswegen nach Deutschland und meine Mutter ist als junges Mädchen mit ihrer Familie nach Hamburg gezogen.

Als sie in die Schule kam, konnte sie fast kein Deutsch. Sprachkurse gab es damals noch nicht in dem Umfange, wie es heute der Fall ist und die Ausländerbehörde hatte daran damals auch kein Interesse. Eine Verwendung war schon vorgesehen: Arbeit am Fließband. Und dafür muss man auch nicht gut deutsch sprechen können.

Während meine Mutter nun morgens Haselnüsse verpackte und Abends zusammen mit ihrer Mutter Wohnungen putzte, um sich noch etwas dazuzuverdienen, wurde sie auf eine Anzeige im Hamburger Abendblatt aufmerksam. Ein EDV-Typistin-Kurs für 600 Deutsche Mark von der Handelskammer. Meine Mutter war direkt begeistert. Sie wollte unbedingt irgendwann einmal in einer deutschen Bank arbeiten. Doch mein Opa, der als ehemaliger Schulleiter nun bei den Hamburger Wasserwerken in der Kanalisation arbeitete und bis zuletzt verbittert war über die fehlende Anerkennung seiner akademischen Leister durch die deutschen Behörden, hatte Zweifel und riet ihr davon ab. Doch der Gedanke hatte sich in ihrem Kopf sich bereits eingepflanzt und fing langsam an aufzugehen.

Sie arbeite heimlich zusätzlich und sparte das Geld, bis sie die 600 Mark zusammen hatte und sich selbst für den Kurs anmeldeten konnte. Gelernt wurde Abends. Tagsüber musste ja gearbeitet werden. Die Doppelbelastung war anstrengend, doch sie hatte ja ein Ziel vor den Augen. Und so setzte sie sich, Tag für Tag, Tag und Nacht hin. All diese Anstrengungen sollten sich auch lohnen. Sie bestand den Kurs als Kursbeste mit der Bestnote.

Voller Stolz ging meine Mutter zum Arbeitsamt, um als EDV-Typistin nun anzufangen. Ihre Hoffnungen lösten sich jedoch schnell in Luft auf. Das Arbeitsamt teilte ihr nur mit, dass für solche Jobs erst Deutsche und dann erst der Ausländer in Frage kommt. Für sie hätten sie weiterhin einen Job als Packerin, weil das nur wenige Deutscher machen wollten.

Mit dieser Antwort wollte sich aber meine Mutter nicht zufrieden geben. Sie hatte doch nicht alle die Mühe, all die Zeit und all die Kosten auf sich genommen, um am Ende wieder am Fließband zu stehen.

Deswegen griff sie zum Branchenbuch und rief alle Unternehmen an und erzählte ihnen ihre Geschichte. Ein US-Unternehmen fand die Geschichte spannend und lud sie zum Bewerbungsgespräch ein. Am Ende war man sich einig. Meine Mutter sollte schnellstmöglich dort anfangen. Schließlich konnte sie – was für die Zeit sehr fortschrittlich war – gut mit Computern und Kugelkopfschreibmaschinen umgehen.

Doch auch hier wollte das Arbeitsamt einen Strich durch die Rechnung machen und die Beschäftigung nicht freigeben. Das amerikanische Unternehmen machte jedoch schnell sehr deutlich, dass sie sich von einer deutschen Behörde nicht vorschreiben lassen, wenn sie einzustellen haben.

So sammelte meine Mutter ihre ersten Berufserfahrungen in diesem Bereich. Nach einiger Zeit in dem Unternehmen, wollte sie aber ihr ursprüngliches Ziel weiterverfolgen. Sie schickte eine Bewerbung nach der anderen an die Banken dieses Landes raus. Am Ende des Prozesses standen zwei Zusagen. Eine von der Deutschen Bank und eine von der Hamburgischen Landesbank. Sie entschied sich für die Landesbank und arbeite dort bis zu ihrem Renteneintritt.

Doch meine Mutter arbeite nicht nur, sonder zog zusammen mit meinem Vater auch meine Schwester, meinen Bruder und mich groß.

Alles in allem aus meiner Sicht eine herausragende Lebensleistung dieser Frau.

Und nun stellt sich ein Heimatminister der Bundesregierung hin und sagt, dass Menschen wie meine Mutter (und zwangsläufig auch ich) – verallgemeinert als die Migrationsfrage – die „Mutter aller Probleme“ sein sollen?

Nach fast 50 Jahren in Deutschland wird meine Mutter immer noch von vielen als Migrantin gesehen. Obwohl sie nun seit 22 Jahren auch Deutsche Staatsbürgerin ist. Es sind halt auch genau solche Äußerungen, wie die von Herrn Seehofer, die eine Integration von integrationswilligen Mitbürgern erschweren. Es sind genau solche Äußerungen, die dazu führen, dass Menschen mit Migrationshintergrund sich hier nicht wohl fühlen und sich isolieren.

Wenn meine Mutter hier das Problem ist, dann graust es mir vor der Lösung. Bei aller Kritik an der Flüchtlings- und Migrationspolitk der Bundesrepublik der letzten Jahrzehnte, die in Teilen auch sicher berechtigt war, dürfen wir nicht vergessen, dass es am Ende immer noch um Menschen geht, über die wir sprechen.

#IchBinKeinProblem

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Umweltschutz ist mehr als nur Frösche über die Straße tragen.

Wir wissen, wie wichtig Umweltschutz ist. Zeigen wir es auch.

von Carl Cevin-Key Coste

Dieser Beitrag erschien erstmalig in der Ausgabe 01/2018 Jung+Liberal.

Umweltstreben hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen.

Dieser Satz könnte aus dem Wahlprogramm der Grünen stammen. Wahrscheinlich steht es so, oder so ähnlich, auch da. Gerade dieses Thema sorgt  bei den Koalitionsverhandlungen für Kontroversen zwischen Liberalen und Grünen. Umwelt vor Wirtschaft? Wenn man die derzeitige Außenwahrnehmung unserer Partei betrachtet wohl nicht denkbar. Doch genau dieser Satz wurde auf dem Bundesparteitag 1971 in Freiburg beschlossen.

Die Freien Demokraten waren damals die Umweltpartei. Nicht nur war Hans-Dietrich Genscher erster Umweltminister, die FDP hat auch viele wichtige Errungenschaften in den Bereichen Umwelt und Tierschutz initiiert. Wenn wir heute jedoch die Bevölkerung fragen, welche Partei sie mit einer progressiven Umweltpolitik verbinden, ist die Antwort einer großen Mehrheit nicht die FDP.

Was hat sich in der Partei der Robbenretter getan, dass sich dieses Bild so geändert hat. Oft wird die Abkehr vom sozialliberalen Kurs als Grund angeführt. Die Freiburger Freiheitsthesen liegen ja nun mittlerweile auch über 45 Jahre zurück. Eine Partei ändert sich über diesen Zeitraum nun einmal. Ein Blick in die neuere Beschlusslage zeigt, dass sich unser Bild nicht um 180 Grad gedreht:

Freiheit ist undenkbar ohne die Verantwortung für sich selbst und gegenüber der Mitwelt, Umwelt und Nachwelt. Verantwortungsloser Gebrauch der Freiheit ist Egoismus auf Kosten Dritter. Er zerstört die Grundlagen unseres Zusammenlebens und damit die Fundamente der Freiheit selbst. Liberale Politik ist ihrem Wesen nach aber die Bewahrung und Mehrung der Freiheit. Sie ist daher untrennbar mit dem Prinzip der Verantwortung verbunden.

Wir können und sollen die Welt nicht konservieren. Aber wir müssen unser Handeln vor der Umwelt und der Nachwelt verantworten. – Karlsruher Freiheitsthesen, 2012

Ein Bewusstsein für Umwelt ist Kernpfeiler einer generationengerechten Politik. Denn wer heute nicht die Umwelt schützt, der gefährdet den Wohlstand von morgen. Wir müssen dafür sorgen, dass jede nachfolgende Generation die Chance hat, ihre Vorstellung zu verwirklichen und nicht durch kurzfristiges Handeln der vorhergehenden Generation darin eingeschränkt wird. Einschränkungen der Wirtschaft lassen sich so auch aus liberaler Perspektive begründen. Denn Verantwortung und Freiheit gehören untrennbar zusammen.

In der Marktwirtschaft werden grundsätzlich alle Kosten den Produkten und Verfahren zugerechnet, die sie verursachen. Dies gilt auch für die Verursacher von Kosten einer Umweltbelastung. Wenn Umweltgefährdungen durch geeignete Gegenmaßnahmen des Verursachers nicht abgewendet werden können, jedoch im Allgemeininteresse abgewendet werden müssen, sind diese durch Notmaßnahmen abzuwenden. Das Verursacherprinzip dient dazu, jedermann klar zu machen, dass Schädigung der Umwelt Kosten verursacht und Wirtschaftswachstum oft mit sozialen Zusatzkosten erkauft wird. Nicht alle Umweltschäden lassen sich über die allgemeine Preisbildung abbilden, deswegen muss der Staat in diesem Bereich regulierend eingreifen. Eine Förderung von umweltfreundlichen Technologien und ein Malus für solche Unternehmen, die die Umwelt und Natur übermäßig in Anspruch nehmen, ist deswegen legitim.

Es ist richtig, dass wir uns in diesem Bereich nicht von Ideologie leiten lassen wollen. Es sind auch viele Fehler in der ersten Generation der Energiewende gemacht worden. Aber wir dürfen auch nicht in das Gegenteil verfallen. Wenn sich herausstellt, dass ein wirksamer Umweltschutz mit Kohleenergie und Dieselmotor nicht möglich ist, müssen wir die notwendige Konsequenz daraus ziehen und dürfen nicht an alten Technologien als Selbstzweck festhalten.

In unseren Leitbild haben wir beschlossen, wie wir Freien Demokraten auftreten wollen: Mutig, optimistisch, weltoffen und lösungsorientiert.

Die Umweltpolitik der Liberalen kann ein bisschen mehr Leitbild vertragen. In der politischen Landschaft müssen wir auch hier wieder für die vernünftige Mitte stehen. Aus Tradition. Aus Verantwortung. Weil es dem Wesen des Liberalismus entspricht auf Vernunft und Ausgleich als gute Argumente zu setzen. Weil wir wissen, dass Umweltschutz mehr ist, als Frösche über die Straße tragen. Weil Umweltschutz wichtig ist. Zeigen wir es auch wieder!

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Kinder haften (nicht) für ihre Eltern!

von Carl Cevin-Key Coste

Dieser Beitrag erschien erstmalig in der Ausgabe 04/2016 Jung+Liberal.

Jugendlichen darf nicht der Anreiz für Leistung aufgrund des familiären Hintergrunds genommen werden. Dafür darf der Staat auch mal etwas mehr als nötig zahlen.

Die siebzehnjährige Schülerin Juli möchte gerne mehr Taschengeld. Ihre Eltern können ihr aber nicht mehr geben. Deshalb beschließt sie ihr erstes eigenes Geld zu verdienen. Kurzerhand bewirbt sie sich bei einem lokalen Unternehmen und vereinbart, dass sie neben der Schule an vier Samstagen pro Monat für jeweils 8 Stunden arbeitet. Dafür erhält sie 10 Euro pro Stunde.

Wieviel Geld erhält Juli jeden Monat? 

Was sich zunächst wie eine ganz normale Aufgabe aus dem Mathe-Unterricht anhört, entpuppt sich als ziemliche Ungerechtigkeit: Denn Julis Eltern sind ALG II-Empfänger. Damit ist die Rechnung nicht mehr ganz so leicht. Juli und ihre Eltern leben nämlich in einer Bedarfsgemeinschaft, in der das Einkommen aller Mitglieder für den Bescheid mit einbezogen wird. Für unser Beispiel bedeutet das, dass Juli zwar zunächst die 320 Euro erhält, aber dieses Einkommen wird im nächsten Bescheid der Eltern berücksichtigt. Juli hat einen Freibetrag von 100 Euro pro Monat, der nicht angerechnet wird. Das verbleibende Einkommen über 100 Euro wird jedoch schon zu 80% angerechnet. Sollte das Einkommen 1.000 Euro übersteigen werden 90% und ab 1.500 Euro sogar 100% angerechnet. Von den 320 Euro bleiben somit nur noch 144 Euro übrig.

Auf dem nächsten Bescheid von Julis Eltern fehlen also 176 Euro, weil die Tochter arbeitet. Diese Summe wird fortan jeden Monat fehlen, in dem sie zu diesen Bedingungen beschäftigt ist. Natürlich könnte Juli die 320 Euro behalten, aber das würde die Eltern aufgrund des fehlenden Geldes vor ziemliche Probleme stellen. Und da Juli noch minderjährig ist, wäre das dann wohl auch das Ende des Minijobs, da die Eltern möglicherweise dann das weitere Einverständnis verweigern. Juli wird sich wohl daher dafür entscheiden selber nur 144 Euro zu behalten.  

Zweck der Anrechnung ist eigentlich, dass nur demjenigen finanziell geholfen wird, der auch tatsächlich Hilfe benötigt. Wer ein ausreichendes eigenes Einkommen hat, braucht keine Unterstützung vom Staat. Dafür ist es grundsätzlich auch sinnvoll, das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft zu betrachten. Wenn z.B. der Lebenspartner einen gut bezahlten Job hat, besteht nicht die Notwendigkeit, dass zusätzlich auch noch staatliche Hilfe geleistet wird. Darunter fällt jedoch auch das Einkommen der eigenen Kinder.

Für viele Kinder von ALG II-Empfängern fühlt es sich an, als ob sie für das Verhalten der eigenen Eltern bestraft werden, bzw. sie für ihre Eltern haften. Wären Julis Eltern keine ALG II-Empfänger, dann dürfte sie die 320 Euro vollständig behalten. Damit werden die Kinder gegen ihre Eltern ausgespielt. 

Doch sieht so das Vorankommen durch eigene Leistung aus? Schon bei einem sehr geringen Einkommen ist die Anrechnungsquote schnell über unserem Spitzensteuersatz. Diese Regelung ist zwar keine Steuer, doch im Ergebnis kommt es einem Jugendlichen nicht darauf an, warum das Geld weg ist. Wenn dies die ersten Berührungspunkte mit dem Arbeitsmarkt für einen Jugendlichen sind, wird dies nicht ohne Folge bleiben. Denn hier wird direkt zu Beginn schon ein leistungsfeindliches Klima etabliert. Wer, wie Juli 55% seines Einkommens wieder abgeben muss, stellt sich schnell die Frage, warum man dann überhaupt arbeiten soll. Wenn das Verhältnis zu Leistung schon in der Jugend so gestört wird, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es im späteren Werdegang ähnlich bleibt. Die zarte Pflanze der Leistungsbereitschaft muss gehegt und gepflegt werden und geht sehr schnell ein. Danach ist es sehr schwer, ein positives Verhältnis zur Leistung wiederaufzubauen. Deshalb ist es wichtig, dass Leistung von Anfang an belohnt wird.

Gerade in armen Familien haben wir in Deutschland das Problem, dass Armut vererbt wird. Wir haben viele Familien, die Harz-IV in zweiter oder sogar dritter Generation beziehen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Einer davon ist jedoch, die fehlende Berufserfahrung. Nun sind Nebenjobs von Schülern sicher nicht das Allheilmittel und garantiert keine Absicherung dagegen. Doch zumindest ist es ein Einstieg in das frühe Berufsleben und steigert damit die Chance, dass dieser Teufelskreis durchbrochen wird. Die Kinder können nichts für die Einkommenssituation ihrer Eltern. Wenn sie nun versuchen durch eigene Leistung ihre Situation zu verbessern, ist dieses Bestreben zu fördern und nicht zu unterbinden. Staatliche Aufgabe ist natürlich nicht die Jugendlichen in Jobs zu vermitteln, sondern Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Ausübung möglich macht. Dazu gehört auch, dass diese Ausübung sich überhaupt erst lohnt.

Um Leistung für diese Jugendlichen wieder attraktiv zu machen, muss die Anrechnung des Einkommens überdacht werden. Maßgeblich sind dafür drei Stellschrauben: Freibetrag, Anrechnungsquote und Zeitraum

Grundsätzlich ist es schon sinnvoll, dass es eine Freibetragsgrenze gibt, denn die Kinder sind auch für ihre Eltern verantwortlich. Doch der Freibetrag ist mit derzeit 100 Euro sehr gering angesetzt. Eine Verantwortlichkeit für die höhere Generation ist meines Erachtens erst gegeben, wenn man für sich selbst genug hat. Mit 100 Euro im Monat ist man davon jedoch sehr weit entfernt. Ein Maßstab für diese Grenze könnte das sächliche Existenzminimum sein. Das sächliche Existenzminimum versucht zu bestimmen, welche Summe man mindestens braucht. Für Jugendliche beträgt dieses zurzeit 4.608 Euro pro Jahr, bzw. 384 Euro im Monat.

Die Anrechnungsquote kennt zurzeit drei Stufen: 80%, 90% und 100%

Das Problem mit so hohen Anrechnungsquoten ist, dass ab der Freibetragssumme die Bereitschaft mehr zu arbeiten stark abnimmt. Wenn von jedem selbstverdienten Euro nur 20 Cent übrigbleibt, überlegt man sich sehr genau, ob man die damit verbundenen Mühen auf sich nimmt. Spätestens, wenn man nichts mehr dafür bekommt, dass man mehr leistet, bricht die Bereitschaft völlig ab. Auch hier sollte der Halbteilungsgrundsatz gelten. Maximal die Hälfte sollte demnach von der Summe über dem Freibetrag angerechnet werden.  

Derzeit wird auf für die Bedarfsberechnung auf das Monatseinkommen abgestellt. Es gibt zwar auch eine Ausnahmeregelung für Ferienjobs. Nach dieser Regelung wird auf das bisherige Jahreseinkommen abgestellt. Dafür darf die Beschäftigung jedoch nicht vier Wochen im Jahr übersteigen. Wer also im Frühjahr, Sommer und Winter in den Ferien arbeiten will kommt sehr schnell über die vier Wochen. Alternativ könnte man grundsätzlich auf das Jahresabkommen abstellen. Dies würde den Jugendlichen nochmal mehr Flexibilität geben. Somit wäre auch ein dauerhafter Nebenjob möglich, der auch in den Ferien aufgestockt werden könnte.

 Folge der oben beschriebenen Änderung ist natürlich, dass Familien trotz höherer Gesamteinkommen eine gleich hohe staatliche Zuwendung erhalten, doch diese eigentlich konsumtiven Transferleistungen werden im weiteren Sinne zum Teil in investive Kosten umgewandelt. Dadurch, dass man hier mit einem großzügigeren Maßstab misst, als beispielsweise beim Einkommen des Lebenspartners, wird die Leistung der Kinder belohnt. Dies ist eine Ausgabe für die Zukunft in der Hoffnung, dass dies dazu beiträgt, dass die Kinder selbst später nicht mehr auf staatliche Hilfe angewiesen sind.  Dafür ist es schon in Ordnung, wenn der Staat kurzfristig mehr leistet, als nötig. Denn nur wer Leistung früh ermöglicht, kann auch später Leistung verlangen.

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Wichtig ist, was am Ende rauskommt!

Wege für die Vereinbarkeit von vergleichbaren Abschlüssen und individueller Ausbildung

von Carl Cevin-Key Coste

Dieser Beitrag erschien erstmalig in der Ausgabe 03/2016 Jung+Liberal.

Egal ob am Gymnasium oder der Gesamtschule, ob in acht oder neun Jahren – mittlerweile gibt es nicht mehr nur den einen Bildungsweg, sondern viele verschiedene Arten, das Abitur in Deutschland zu erlangen. Doch an das Abitur haben wir den Anspruch, dass es vergleichbar ist, weil mithilfe der Abiturnote über Zukunftschancen entschieden wird. Ganz gleich, ob man sich an einer Universität oder für einen Ausbildungsplatz bewirbt, in Deutschland wird immer noch viel Wert auf Abschlussnoten gelegt. Mit einem bundeseinheitlichen, 900 Punkten umfassenden Abitur wollten die Länder die Vergleichbarkeit des Abiturs erhöhen. Die Berechnung der Gesamtnote unterscheidet sich jedoch deutlich.

Während man in Hamburg die Abiturprüfung an den drei Fachsäulen orientiert, muss man in Nordrhein-Westfalen das Abitur in seinen zwei Leistungskursfächern schreiben. Davon unterscheidet sich nochmal die bayerische Prüfordnung, die fünf Prüfungsfächer festlegt. Auch unterscheiden sich die Voraussetzungen, welche Fächer aus der Oberstufe eingebracht werden müssen und dürfen. Ob das Abitur in Bayern oder in Hamburg schwerer oder leichter ist, ist letztendlich irrelevant. Das Problem ist, dass zurzeit in jedem Bundesland das Abitur unter anderen Voraussetzungen erteilt wird.

Gleiches Abitur, aber für jeden Schüler individuell?

Unter dieser nur scheinbaren Vergleichbarkeit werden aber Zukunftschancen vergeben. Sei es an der Hochschule oder in der Ausbildung – vielerorts ist der Numerus Clausus das entscheidende Kriterium, ob jemand angenommen wird oder nicht. Als Liberale wollen wir Leistungsgerechtigkeit. Es darf demnach nicht davon abhängen, in welchem Bundesland man sein Abitur gemacht hat. Das einzige Argument, das zählt, sind die persönlichen Fähigkeiten des Bewerbers. Die logische Folge hieraus wäre eine Bundesschulverwaltung.

Wir legen jedoch nicht nur Wert auf die Vergleichbarkeit von Abschlüssen. Die Schule soll aus dem einzelnen Schüler das maximale Potential herauskitzeln. So unterschiedlich wie die Menschen sind, so unterschiedlich sind auch ihre Fähigkeiten. Ein zukünftiger hervorragender Jurist kann an linearer Algebra verzweifeln, während dem späteren Programmierer möglicherweise der analytische Zugang zur Lyrik des 19. Jahrhunderts schwerer fallen mag. Gerade deswegen sollte die Ausbildung am Schüler ansetzen und nicht am System.

Gleiches Abitur, aber für jeden Schüler individuell? Zwei Forderungen, die sich zunächst so anhören, als würden sie einander ausschließen. Machen wir uns nichts vor, eine allumfängliche Bewertung eines Schülers, die seine vollständigen persönlichen Fähigkeiten berücksichtigt, ist schlichtweg nicht möglich. Die normative Macht des Faktischen setzt der Prüfung Grenzen, denn ab einem gewissen Punkt schafft die weitere Ausdifferenzierung der Prüfung bürokratische Hürden, die nicht mehr im Verhältnis zum Mehrwert stünden. Vorteil des Bundesabiturs wäre, dass die individuelle Förderung nicht darunter leidet, weil dasselbe Problem auch für die Länderprüfungsordnungen besteht.

Ausbildung und Abschluss als Einheit?

Das Problem der derzeitigen Bildungssituation ist, dass wir Ausbildung und Abschluss immer als Einheit betrachten. Das mag vom Grundgedanken her auch richtig sein. Nach der Ausbildung folgt ein Abschluss, der einem die erlangten Fähigkeiten bescheinigt. Jedoch folgt aus diesem Zusammenhang noch nicht, dass Ausbildung und Abschluss strukturell und organisatorisch eine Einheit bilden müssen.

Es wäre beispielsweise denkbar, dass die Ausbildung an der Schule erfolgt, die Prüfung aber, ähnlich wie im juristischem Staatsexamen, von einer staatlichen Stelle abgenommen wird. Durch diese Trennung wäre es möglich, dass die schulische Ausbildung weiterhin in die Kompetenz der Länder fällt, die Prüfung könnte jedoch als zustimmungsbedürftige Kompetenz des Bundes ausgestaltet werden. Die Trennung würde es erlauben, dass die Ausbildung auf Landesebene immer noch individuell ausgestaltet werden kann und dass ein einheitlicher Abschluss geschaffen wird. Problem an dieser Lösung ist natürlich weiterhin, dass durch den Zuschnitt auf bestimmte Fächer in der Prüfung, persönliche Fähigkeiten möglicherweise nicht mehr berücksichtigt werden.

Um diesen Missstand zu beseitigen, müssen wir unser Verständnis vom Abitur verändern. Derzeit ist das Abitur der einzige Kompetenznachweis, der verlangt wird. Wenn nun aber das Abitur als Grundfähigkeitsbescheinigung verstanden wird, ein Hochschulstudium zu absolvieren, könnte dies gleichzeitig noch um weitere Leistungsnachweise ergänzt werden. So könnte ein Schüler bei seiner Bewerbung das extern geprüfte Abitur plus die Leistungsübersicht seiner Schule einreichen. Ob und wie Betriebe oder Universitäten dies neben dem Abitur noch berücksichtigen, bleibt natürlich ihnen überlassen.

Dadurch, dass wir auf einer anderen Ebene prüfen, wird die schulische Ausbildung aber noch kein Stück individueller für den Schüler gestaltet. Meiner Meinung nach gehört die Verantwortung für Bildung in die Hände der Schüler, der Eltern und der Pädagogen und nicht in die von Politikern und wechselnden Mehrheiten. Aufgabe der Regierung ist es nicht in jeder Legislaturperiode ein neues Schulmodell auszutesten, sondern Rahmenbedingungen für gute Bildung zu schaffen und nicht ideologische Grabenkämpfe auf dem Rücken der Schüler zu führen.

Mehr Freiheit wagen?

Ein individuelles Schulsystem zeichnet sich dadurch aus, dass es zum einen den Schülern weitgehende Wahlfreiheit in der Schwerpunktsetzung lässt, jedoch auch eine Durchlässigkeit der Schulen garantiert. Denn die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Schule darf kein Einschnitt in die persönliche Bildungsbiographie sein, sondern muss die aktuell bestmögliche individuelle Förderung sicherstellen, ohne den späteren Wechsel auf eine andere Schule zu erschweren. Dafür müssen die strukturellen Voraussetzungen geschaffen werden, damit alle Schüler auf den verschiedenen Ebenen in möglichst eigenverantwortlichen Bildungsinstitutionen die besten Ergebnisse erreichen können.

Eine Möglichkeit wäre die Wahlfreiheit der Kurse. Nicht mehr die Schule, sondern der Schüler bestimmt, was er wann lernen möchte.  Zur Vorbereitung auf die Prüfung ist es jedoch erforderlich, dass auch ein gewisses Maß des Curriculums verpflichtend ist. Zur Zulassung für die Abiturprüfung wäre dann eine gewisse Anzahl an belegten Kursen in bestimmten Fachbereichen erforderlich. Vorteil dieser Regelung wäre auch, dass man den Schülern fachspezifisch helfen kann. Ein Schüler, der durch Mathe durchfällt muss dann nicht mehr das ganze Schuljahr, sondern nur seinen Problembereich wiederholen. Mit diesem Modell kann jeder Schüler selbst über seinen Bildungserfolg entscheiden oder anders gesagt, er kann entscheiden, wie lange er für sein Abitur braucht. Bei einer Wahlfreiheit für G8 oder G9 hat man sich einmal entschieden und bleibt an seiner Wahl bis zum Ende haften. Im Wahlsystem könnten die Schüler sich die Belastung selbst einteilen und auch über die Jahre die Belastung variieren lassen. Wünschenswert wäre es zudem, wenn länderübergreifend die Voraussetzungen gleich geregelt sind, um Schulwechsel zwischen den Bundesländern zu vereinfachen.

Verschiedene Schulen könnten verschiedene Schwerpunkte in verschiedenen pädagogischen Herangehensweisen entwickeln. Als Liberale sollten wir keinem Schulsystem und keiner ideologischen Struktur einen Vorzug geben. Auch hier setzt sich im Wettbewerb vor Ort das beste Schulangebot durch. Auch für die Universitäten und Betriebe könnte eine solche Änderung von Vorteil sein. Dadurch, dass es vom Schüler abhängt, wann er die Zulassungsvoraussetzungen für das Abitur erfüllt, werden auch Schüler zu unterschiedlichen Zeitpunkten die Schule mit dem Abitur verlassen. Somit fällt voraussichtlich nicht immer eine Welle an Schülern im Wintersemester an, sondern streckt sich über das Jahr.

Durch die Trennung von Ausbildung und Abschluss, aber auch durch eine Umgestaltung der bisherigen Ausbildung, wäre es somit möglich, vergleichbare Abschlüsse und eine möglichst individuelle Ausbildung miteinander zu vereinbaren. Strukturreformen in der Schule sind natürlich ein leidiges Thema, weil jede Partei am Schulsystem bauen möchte. Wir müssen uns jedoch nicht aus diesem Grund an unsere bestehenden Strukturen in der Schule klammern. Denn es ist nicht wichtig, wie die Schüler zum Abitur kommen, sondern was am Ende rauskommt!